I sii dor Wimberg





An einem nebligen Herbsttag begebe ich mich nach der großen Pause ins Klassenzimmer einer vierten Grundschulklasse in Calw. Die Schule liegt auf der Ostseite des Nagoldtales oben am Hang. Die großen Fenster des Klassenzimmers gehen nach Westen auf die gegenüberliegende Talseite. Gerade beginnt der Nebel sich zu lichten. Ein Junge hängt am Fenster (was er eigentlich nicht tun soll!) und kann überraschend die gegenüber liegende Talseite sehen. Voller Begeisterung ruft er: "I sii dor Wimberg!", auf hochdeutsch: "Ich sehe den Wimberg!" 




Bingo! Dieser Junge spricht ein fehlerfreies Schwäbisch.


Bei Verben, die im Singular in der 2. und 3. Person von e auf i umlauten (geben > du gibst, helfen > er hilft usw.), wird schwäbisch auch die 1. Person umgelautet:
"ich gebe" > "i gibb", "ich helfe" > i hilf" und eben auch "ich sehe" > "i sii".

Ich muss mein Schmunzeln vor der Klasse verbergen:
Das schwäbische "i sii" klingt ja zum Verwechslen ähnlich dem englischen "I see"!
Aber ob die schwäbisch - englische Sprachkompetenz dieses Jungen im Englischunterricht je positiv aufgegriffen werden wird? 

Dazu kommt der an den Nominativ angeglichene Akkusativ "dor Wimberg", nicht "den" Wimberg - das Englische hat ohnehin alle Kasus angeglichen, das schwäbische zumindest den ganzen Akkusativ an den Nominativ.

Aber da wäre ja noch viel mehr schwäbisch - englisch, zum Beispiel: 
- das Präsens "i stand" = "I stand",
- oder der Konjunktiv "I sodd/wedd" = I should/would"
- oder das dunkle a in Wörtern wie "what", "warm", "water" usw.
  (schwäbisch in Wörtern wie Schlåfa, Stråß, Bråda usw.)
- oder das Zahlwort "faef" = "five"
- oder einsilbige Infinitive wie "gao" = (to) "go" ...

Man muss alle diese Wörter aussprechen und nicht nur lesen, dann merkt man sofort:
Die beiden Sprachen Englisch und Schwäbisch haben vieles gemeinsam!
Bingo!