Lina Stöhr


Lina Stöhr (1872-1938; *15. Mai 1872 in Faurndau bei Göppingen als Karoline Magdalene Reick, verheiratet 1898 nach Stuttgart-Heslach, †1938 unbekannten Orts) wurde zu ihrer Zeit in Württemberg viel und gern gelesen.

Sie veröffentlichte mehr als ein halbes Dutzend Gedichtbücher, die alle mehrere Auflagen erlebten. Ihre Sprache ist lebendig und anschaulich. Ihre Gedichte sprühen vor Charme und Witz und zeigen einen ungewöhnlich umfangreichen Wortschatz. Ihre Schreibung ist durchredigiert und gut lesbar. Eine größere Anzahl ihrer Gedichte sind in daktylischem Rhytmus (betont - unbetont - unbetont) bzw. anapästischem Rhytmus (unbetont - unbetont - betont) geschrieben. Diese Rhytmen unterstreichen die lebhaft-schelmischen Handlungen, die sie in vielen ihrer Gedichte aufgreift. Aus heutiger Sicht schwierig bleiben aber mehrere nationalistisch geprägte Gedichte in den diversen Auflagen ihres Buches "Hoimetkläng" aus den 1920er-Jahren, in denen sie ihren Aversionen gegen die Kriegsgegner des Ersten Weltkriegs zum Ausdruck bringt.

Ihr Ehemann Jakob Herr, den sie 1898 geheiratet hatte, verstarb 1901. Nicht bekannt ist, wann sie den Namen Stöhr annahm, und wann sie wieder nach Faurndau zurückgekehrt ist. In einem ihrer Bücher signiert sie "Faurndau,  6.11.27". Ein Nachlass existiert nicht. Ihr Leben verliert sich im Unbekannten. Nachfolgend sind ihre beiden Standardwerke aufgeführt.

Ihre beiden Gedichtbände Hagabutza und Grad zom Possa sind heute nur noch antiquarisch über das Internet zu bekommen. Angebote sind aber erfahrungsgemäß immer zu finden. Bei etwa 10 Euro beginnen die Preise.

Zu den unbedingt lesenswerten Gedichten zähle ich die Gedichte über Kinder, z.B. "s Gwissa" (Hagebutza S. 28), "s Adölfle ond s Ottole raufet" (Grad zom Possa S. 52) und auch "D´r Schueschter hot a Büeble g´fonda" (ebendort S. 33). Lina Stöhr ist auch die Autorin des Bänkelsongs "I sott a Motorrädle hao". Zum Schmunzeln ist ihre Parodie auf Schillers hochdramatisches Gedicht "Der Taucher", dessen Szenerie sie an den Bodensee nach Friedrichshafen verlegt. Ort des Geschehens ist in ihrem Gedicht das dortige Schloss direkt am See. Hauptpersonen sind bei ihr der letzte württembergische König Wilhelm II., dessen Tochter Pauline und ein Bäckersjunge. Was letzterer auf dem Grund des Bodensees findet, ist weit mehr als ein Becher und gibt eine Vorahnung auf die heutige Verschmutzung des Seegrundes (Hagabutza S. 24-27).


> Hagabutza. Schwäbische Gedichte, Stuttgart 1927; 2. Aufl. Verlag Theo Steiner, Stuttgart-Botnang
> Grad zum Possa!. Schwäbische Gedichte, 4. Auflage als Neuausgabe im Knödler-Verlag, Reutlingen 1978