Emotionales Schwäbisch



Emotionale Momente sind besonders gute Augenblicke, um genuines Schwäbisch zu entdecken. Viele Schwäbinnen und Schwaben sind ja inzwischen geprägt von der gesellschaftlichen Forderung: Bitte kein Schwäbisch! Wer etwas auf sich hält, muss sich sprachlich anpassen.

Immerhin sind einige unter ihnen noch zuhause in den ersten drei Jahren in sehr gutem Hochschwäbisch sozialisiert worden, auch wenn es ihnen kindergärtnerisch und schulisch in gesllschaftspolitischer Absicht ausgetrieben wurde ... Aber in emotionalen Situationen blitzt dieses hochwertige Schwäbisch wieder heraus:



An der Kasse des Supermarktes hat sich eine kleine Schlange gebildet. Vor mir wartet eine mir bekannte akademisch gebildetet Frau jüngeren Alters. Im Einkaufswagen sitzt ihr dreijähriger Sohn. Er sieht die strategisch bewusst an der Kasse positionierten Süßigkeiten - und klar, will welche haben. Das nervt seine Mutter. "Sei still!" bekommt er von ihr zu hören. Aber er quengelt weiter. "Jetzt sei still!" kommt es von ihr eine Spur lauter. Aber es hilft nichts. Schließlich faucht sie ihn verärgert an: "Jezz bisch fae ruich!"



Tage später finde ich Zeit, in Grammatikbüchern zu suchen. Bingo! Der genuine schwäbische Imperativ lautet nicht "sei!", sondern "bisch!" bist du! Die Mehrzahl dazu, so lese ich, laute analog nicht "seid!" sondern schwäbisch "send-Or!"

Aber nun hat die Frau nicht nur die grammatische Form gewechselt, sondern auch das damit verbundene Wort. Ich beginne mich zu fragen: Ist "still" vielleicht auch nur ein hochdeutsches Wort, und das richtige Schwäbische ist dafür "ruich" ruhig?