Gib sofort den Füllfederhalter her!


Gäbb sofort dor Fillor här!




Wieder ist die große Pause vorbei. Ich gehe in eine sechste Klasse der Werkrealschule. Alle Schülerinnen und Schüler sitzen ordnungsgemäß an ihrem Platz (das gibt es tatsächlich!). Der Unterricht könnte also beginnen - oder doch nicht?

Dem Schüler S. ist wohl der Füllfederhalter entwendet worden, um ihn zu ärgern. Er ruft lautstark dem Schüler K. zu: "Gäbb sofort dor Fillor här!" Gib sofort den Füllfederhalter her!



Wow! Dieser Junge kann schwäbisch, denke ich, und zwar perfekt!

  1. "Gäbb" (mit kurzem ä) ist der genuine schwäbische Imperativ des Wortes "geben", nicht wie hochdeutsch "gib" (mit langem i).
    Damit bekam ich einen weiteren Beleg für die grammatische Regel: Bei Verben, die hochdeutsch im Singular der 2. und 3. Person und im Imperativ Singular von e/ä auf i umlauten (geben > du gibst, nehmen > er nimmt, helfen > hilf! usw.), lauten hochschwäbisch alle drei Personen des Singulars um, dagegen bleibt der Stammlaut e/ä im Imperativ erhalten.
  2. Schon in Karl Bohnenbergers Büchlein "Die Mundarten Württembergs" hatte ich gelesen, dass im Schwäbischen der Akkusativ durchgehend an den Nominativ angeglichen ist, also nicht nur wie im Hochdeutschen beim weiblichen "die", sächlichen "das" und pluralischen "die", sondern auch beim männlichen "der".
    Das entsprach auch meinem Heimatort. Aber nun, 50 km westlich davon, die gleiche Grammatik! Einige Jahre später begegnete mir auch 30 km nordöstlich meines Heimatortes der Akkusativ "der" - In beiden Fällen  in der identischen zentralschwäbischen Aussprache "dor" (mit o-Leichtvokal).