Die hochschwäbische Grammatik wird oft für eine schwäbische Eigenheit gehalten. Aber ist das so?
Ein Blick über den schwäbischen Kirchturmhorizont hinaus zeigt: Vieles ist keine schwäbische Eigenheit, erst recht keine schwäbische Eigenbrötelei. Denn viele, angeblich schwäbische Besonderheiten finden sich exakt gleich auch im Bairisch-Österreichischen, im Alemannisch-Südbadisch-Schweizerischen und im Südfränkischen. Diese Sprachgruppen fasst man gemeinsam mit dem Schwäbischen in der Germanistik als Oberdeutsch zusammen.
Die schwäbische Grammatik ist keine schwäbische Eigenart.
Sie teilt vieles mit den anderen oberdeutschen Sprachen.
Oberdeutsch ist die zusammenfassende germanistische Bezeichnung für die Sprachen der großen Südhälfte des deutschen Sprachraums. Sie hatten einst alle eine weitgehend gemeinsame Grammatik, z. B. der Verben und der Substantive. Diese gemeinsame Grammatik wurde inzwischen leider durch die von Norden her eindringende Verhochdeutschifizierung weitgehend zerstört, und ist nur noch in intakten Dialekten nachweisbar, z. B. im rein erhaltenen Hochschwäbischen.
Das Schwäbische unterscheidet sich von den anderen oberdeutschen Sprachen vor allem durch seine völlig andere Phonetik (Aussprache, Sprachklang), dazu auch durch einen gewissen Sonderwortschatz, kaum aber durch seine Grammatik.
Nachfolgend drei Beispiele für oberdeutsche Gemeinsamkeiten: :
1. Beispiel: Bildung des Partizips Perfekt ohne das Augment "ge" |
2. Beispiel: Bildung des Konjunktivs durch das Hilfsverb "tun" Die Verwendung des Verbs "tun" als Hilfsverb für die Bildung des Konjunktivs wird vor allem dem Schwäbischen zugeschrieben: "I dääd äbbes schreiba" ich würde etwas schreiben wird für speziell schwäbisch gehalten. Aber auch Bairisch-Österreichisch und Alemannisch gilt genuin "tun" statt "würde", ebenso im Saarland und im südlichen Rheinland-Pfalz/Hessen, mithin in mehr als der Hälfte des deutschen Sprachraums! Der einzige Unterschied liegt darin, das sich das Schwäbische hier besonders resistent gegenüber dem zerstörenden hochdeutschen Sprachdruck zeigt, während ihm in den anderen oberdeutschen Sprachen das "ich täte" schon weitgehend zum Opfer gefallen ist. |
3. Beispiel: Anderes Geschlecht von Substantiven Viele Wörter besitzen im Schwäbischen ein anderes Geschlecht wie im Hochdeutschen, z. B. der Buddor Butter, der Haeschrägg Heuschrecke, der Schogglaad Schokolade, der Zaeja Zehe, der Zwiibl Zwiebel, das Radio, das Tunnel u. v. a. m. Dieses andere Geschlecht ist vielfach eine gesamtoberdeutsche Gemeinsamkeit, gilt also nicht nur schwäbisch, sondern auch bairisch-österreichisch und alemannisch-südbadisch-schweizerisch. |
Das oberdeutsche Gebiet umfasst folgende Sprachen bzw. Gebiete:
Alemannisch: Südbaden und die Deutschschweiz, ehemals auch das Elsass
Bairisch: Mittleres und südliches Bayern, ganz Österreich und Südtirol
Südpfälzisch: Saarland, südliches Rheinland-Pfalz/Hessen, nördliches Bayern/Baden-Württemberg
Schwäbisch: Mitte und Südosten Baden-Württembergs, östliches Bayern (Regierungsbezirk Schwaben)
Die zeitliche Ansetzung der oberdeutschen Gemeinsamkeiten:
Diese Gemeinsamkeiten müssen in die Zeit vor der Auftrennung in ein Ostoberdeutsch (Bairisch-Österreichisch) und in ein Westoberdeutsch (Schwäbisch-Alemannisch) zurückreichen. Diese Auftrennung fand statt in der Zeit um das Jahr 1000 n. Chr. und geschah entlang des Flusses Lech. Die oberdeutschen Gemeinsamkeiten gehören der Zeitstufe des Altoberdeutschen (ca. 850 - 1150 n. Chr.) an.
Nach der Aufteilung entwickelten sich die beiden oberdeutschen Sprachgebiete auseinander. So unterscheiden sich z. B. das Ostoberdeutsche und das Westoberdeutsche in der Bildung der Diminutive: Die ostoberdeutschen Bayern und Österreicher sagen z. B. "Haferl" (mit Endung "erl"). Die westoberdeutschen Schwaben dagegen sagen "Häfele" (mit Endung "le") und die ebenfalls westoberdeutschen Alemannen "Häfeli" (mit Endung "li").