Ungeschnitten oder auch geschnitten?


"Aogschnidda" - odor "ao gschnidda?" 





Ein Erlebnis beim Brot einkaufen

Meine Frau und ich betreten die Bäckereifiliale einer bekannten schwäbischen Bäckerei auf der Schwäbischen Alb. Die Brotauswahl ist umfangreich und gut. Wir überlegen unsere Wahl. Wie sich herausstellen wird, kann die etwa 20-jährige Verkäuferin zwar noch ein bisschen Schwäbisch. Sie ist aber nicht mehr darin geübt, feine Betonungen herauszuhören und deren unterschiedlichen Sinn zu erkennen.

Meine Frau ist zuerst dran. Sie wählt eine Brotsorte und sagt dann: „Gschnidda“ geschnitten. Die Verkäuferin schneidet das Brot auf und tütet es ein.











Danach bin ich dran. „Und Sie?“ fragt sie höflich. Ich wähle eine zweite Brotsorte und füge hinzu: „Ao gschnidda!“ - mit betontem i. Die junge Verkäuferin ist irritiert. „Wie meined Sie? Soll ich es auch uffschneida oder nicht uffschneida?“ Ich antworte (zur Klarheit mit „ebenfalls“ statt „ao“ ): „äbafalls“ geschnitta“.




Auf dem Rückweg von der Bäckereifiliale überlege ich: Was geschah da eigentlich sprachlich? Woran lag das Verstehensproblem? Gut vorstellbar: Man hat ihr in der Schule ihre eigentlich gute schwäbische Sprachkompetenz madig gemacht und verständnislos ruiniert. Was viele nicht wissen:

In gutem Schwäbisch ist oft die Betonung entscheidend.

Schwäbisch ist eine wunderbar klangvolle Sprache. Sie ist wie Musik. Beim Hören kommt es auf den Klang des Gehörten an. Schwaben und Schwäbinnen sind im differenzierten Hören gut geübt, auch im sinnunterscheidenden Hören von Betonungen. 

Firr Schwåba ond Schwäbenna isch dees, wa jezz kommd, koe Broblem:

aogschnidda“ mit Betonung auf „ao“ meint ungeschnitten.
„ao gschnidda“ mit Betonung auf „i“ meint auch/ebenfalls geschnitten

aognao“ mit Betonung auf „ao“ meint ungenau.
„ao gnao“ mit Betonung auf „gnao“ meint auch/ebenfalls genau.

Hochschwäbisch wird die Betonung fein, aber klar differenziert. Das Problem:
Lediglich
hochdeutsch hörende Ohren erkennen diese feinen Unterschiede nicht.
In der universitären und in der Schulgermanistik sind sie deshalb völlig unbekannt.


Einige weitere Beispiele für sinnentscheidende Betonung:

Die Zahl von Wörtern mit Betonungsunterschieden ist groß.
Nachfolgend ist die betonte Silbe durch Fettschreibung hervorgehoben.

vorzeela   vorzählen

vorzeela   erzählen

vorschreiben   vorschreiben

vorschreiba   verschreiben (ärztlich)

vormacha   vormachen

vormacha   vermachen (vererben)

aoguad   ungut

ao guad   auch gut

vorkomma   nach vorne kommen

vorkomma   a. verkommen (Adjektiv); b. begegnen (Verb)


Firr Schwåba isch dees älles koe Broblem, dia haered hald gnao. Mor muas abor dorzuanã  ao saa: Enn viile schwäbische Gegeda saed mor haobdsächlich "ogschnidda" ond "ognao". Dees isch nå doch a bissle leichdor zomm ondorschaeda.