"Aogschnidda" - odor "ao gschnidda?"
| ||||
Danach bin ich dran. „Und Sie?“ fragt sie höflich. Ich wähle eine zweite Brotsorte und füge hinzu: „Ao gschnidda!“ - mit betontem i. Die junge Verkäuferin ist irritiert. „Wie meined Sie? Soll ich es auch uffschneida oder nicht uffschneida?“ Ich antworte (zur Klarheit mit „ebenfalls“ statt „ao“ ): „äbafalls“ geschnitta“. |
Auf dem Rückweg von der Bäckereifiliale überlege ich: Was geschah da eigentlich sprachlich? Woran lag das Verstehensproblem? Gut vorstellbar: Man hat ihr in der Schule ihre eigentlich gute schwäbische Sprachkompetenz madig gemacht und verständnislos ruiniert. Was viele nicht wissen:
In gutem Schwäbisch ist oft die Betonung entscheidend.
Schwäbisch ist eine wunderbar klangvolle Sprache. Sie ist wie Musik. Beim Hören kommt es auf den Klang des Gehörten an. Schwaben und Schwäbinnen sind im differenzierten Hören gut geübt, auch im sinnunterscheidenden Hören von Betonungen.
Firr Schwåba ond Schwäbenna isch dees, wa jezz kommd, koe Broblem:
„aogschnidda“ mit Betonung auf „ao“ meint ungeschnitten.
„ao gschnidda“ mit Betonung auf „i“ meint auch/ebenfalls geschnitten.
„aognao“ mit Betonung auf „ao“ meint ungenau.
„ao gnao“ mit Betonung auf „gnao“ meint auch/ebenfalls genau.
Hochschwäbisch wird die Betonung fein, aber klar differenziert. Das Problem:
Lediglich hochdeutsch hörende Ohren erkennen diese feinen Unterschiede nicht.
In der universitären und in der Schulgermanistik sind sie deshalb völlig unbekannt.
Einige weitere Beispiele für sinnentscheidende Betonung:
Die Zahl von Wörtern mit Betonungsunterschieden ist groß.
Nachfolgend ist die betonte Silbe durch Fettschreibung hervorgehoben.
vorzeela vorzählen | vorzeela erzählen |
vorschreiben vorschreiben | vorschreiba verschreiben (ärztlich) |
vormacha vormachen | vormacha vermachen (vererben) |
aoguad ungut | ao guad auch gut |
vorkomma nach vorne kommen | vorkomma a. verkommen (Adjektiv); b. begegnen (Verb) |
Firr Schwåba isch dees älles koe Broblem, dia haered hald gnao. Mor muas abor dorzuanã ao saa: Enn viile schwäbische Gegeda saed mor haobdsächlich "ogschnidda" ond "ognao". Dees isch nå doch a bissle leichdor zomm ondorschaeda.